Rika sass auf dem Bett. Gleich würde sie mit ihrer Mutter in so einen doofen Antiquitätenladen gehen müssen. Rika interessierte sich überhaupt nicht für Antiquitäten, im Gegenteil, doch Mutter wollte jetzt unbedingt ein antikes Möbelstück kaufen gehen. Da Rika schon lange mal einen Spiegel wollte, meinte ihre Mutter, sie solle mitkommen und sich die Spiegel dort ansehen. Was anderes würde sie in ihrem Hause nicht sehen wollen.

Rika seufzte tief, als sie hörte, wie ihre Mutter sie zu sich rief. Sie schlenderte langsam die Treppen hinab, ging hinaus und setzte sich schon mal ins Auto. Gleich darauf kam ihre Mutter und sie fuhren los. Endlich kamen sie in einem alten Industrieviertel an und bogen in eine etwas düstere Gegend: "Und da willst du wirklich hin Mama?" - "Natürlich Kind und jetzt hör endlich auf, dich zu beschweren."

Rika grunzte genervt und stieg aus, sobald Mutter den Wagen angehalten hatte. Vor sich sah sie ein altes Haus, welches eher einem Geisterhaus als einem Antiquitätenladen glich. Über der Tür hing ein Schild auf welcher in einer verwackelten Schrift stand: 'Edgars Antiquitäten’. "Das ist ja gruselig.", bemerkte Rika. Doch Rikas Mutter betrat bereits den Laden. Ein helles Klingeln ertönte und man hörte es erneut, als die Tür sich schloss. Hinter der Theke kam ein alter Mann mit weissen Haaren hergehumpelt. Er begrüsste die Beiden und fragte, ob er etwas helfen könne.

Rikas Mutter zeigte auf Rika und meinte, ob er ihr nicht einen Spiegel zeigen könne, den sie zufriedenstellen würde. Der Ladenbesitzer meinte mit einem Grinsen auf dem Gesicht, dass er für Mädchen und Jungen ihrer Art, einen ganz bestimmten Spiegel habe, der ihr gefallen werde. Rika folgte dem Mann grummelnd. Dieser führte sie zwischen den Regalen hindurch zu einer kleinen Tür. Er erklärte ihr, dass er darin die Spiegel gelagert habe, damit sie niemand umwerfe. Rika leuchtete diese Erklärung ein und sie dachte nicht mehr weiter darüber nach, als sie ihm in das Zimmer folgte.

Auf allen Seiten standen Spiegel und dies eine ganze Reihe. Doch ganz am Ende stand in der Mitte ein grosser, verzierter Spiegel. Der Ladenbesitzer schob Rika vor diesen Spiegel und als diese bemerkte, dass dieser ihr auch nicht gefalle, meinte er, dass dies ein Zauberspiegel sei. Man müsse nur die Worte: "Eso osta aloeom" sagen, dann würde er einem zeigen, was man sehen wolle. Rika blickte den Mann ungläubig an: „Glaub ich nicht, so was ist Kindermärchen.“ Der Ladenbesitzer schüttelte jedoch hartnäckig den Kopf: „Das ist gar kein Märchen Liebes, das ist die Wahrheit! Wenn du mir nicht glaubst, dann probier es doch mal aus.“ Rika zögerte. Könnte es sein, dass er wirklich die Wahrheit sprach? Ach nein, so was gab es doch nur in Märchen. Doch sie grinste in sich hinein. Sie würde ihm einen Streich spielen und so tun, als habe er recht. Sie blickte in den Spiegel und stellte sich vor, sie würde sich in einem Hochzeitskleid sehen, mit einem Schönling neben sich stehen: „Eso osta aloeom“, sagte sie dazu beschwörend und fixierte mit ihren Augen ihr Spiegelbild. Es hörte sich an wie ein Donnergrollen und ein helles Licht blendete sie aus dem Spiegel. Rika schlug reflexartig ihren Arm vor die Augen und schützte diese damit. Als das Licht wieder verschwand, senkte sie den Arm. Der Alte hatte sich wohl irgendwelche Tricks ausgedacht, die auf sie wirken sollten, als würde wirklich etwas geschehen.
Sie blickte erneut in den Spiegel und zuckte zusammen, als sie sich selbst nicht mehr im Spiegel sah. Was sie sah waren blos noch die zwei langen Reihen mit Spiegeln zu beiden Seiten und ganz hinten in der Mitte die kleine Tür. Ihr Spiegelbild war aus dem Spiegel verschwunden. Auch den Mann konnte sie im Spiegel nicht erkennen. Schnell drehte sich Rika um die eigene Achse, damit sie den Mann überraschen konnte. Nun schrie sie auf. Sie stand in einem etwa 50 auf 70 Meter grossen leeren, halb finsteren, braunen Raum. Sie ging einige Schritte vom Spiegel weg und drehte sich dann wieder zu ihm um. Was sie entdeckte, verschlug ihr die Sprache. Der Spiegel stand in der Mitte des Raumes, das heisst, dass der Raum schlussendlich nicht 50 auf 70 Meter gross war, sondern etwa 100 auf 70 Meter.

Rika ging zum Spiegel hin und betrachtete das Bild. Eindeutig, sie schien im Spiegel selbst gelandet zu sein. Zum Glück war sie nicht Jemand, der gleich Panik bekam, wenn was seltsames geschah. Sie betrachtete den Raum eingehend. Um nichts zu übersehen, lief sie diesen riesigen Raum langsam auf und ab, so dass sie alles betrachten konnte. Doch es gab eigentlich nichts zu sehen. Der Raum schien einfach dunkelbraun zu sein. Nur jeweils auf allen der vier Seiten war eine kleine Tür angebracht. Rika ging der Reihe nach zu allen Türen und betrachtete diese genau. Im fahlen Lichtschein, der wohl vom Spiegel ausging, konnte sie sehen, dass alle vier Türen identisch waren. Sie müsste jetzt den Spiegel von der Seite her sehen können. Sie blickte in die Mitte des Raumes. Was sie dort sah, liess sie langsam an sich selbst zweifeln. Der Spiegel stand mit der Fläche zu ihr. Es sah aus, als hätte sich der Spiegel gedreht. Sie wollte dies überprüfen und lief zur nächsten Tür auf der anderen Seite, während sie den Spiegel nicht aus den Augen liess. Tatsächlich, der Spiegel drehte sich mit. Er war immer so gedreht, dass sie nur seine Vorderseite sehen konnte und die Reihen der andern Spiegel darin sah.

Es gab für sie wohl keine andere Möglichkeit mehr. Sie musste durch eine dieser Türen gehen. Doch durch welche? Alle waren identisch. Unschlüssig stand sie da. Am besten würde sie einfach eine auszählen und durch diese würde sie dann gehen. Rika fühlte sich recht unwohl dabei, doch sie musste etwas tun. Nur hier herumsitzen und abwarten würde genau so wenig bringen.

So stand sie auf und ging zu einer Tür. Vorsichtig öffnete sie diese und trat in die Finsternis hinein. Sie schloss die Türe hinter sich und blickte in den Raum vor sich. Es war wieder ein grosser Raum. Sie ging auf die Mitte zu. Dort entdeckte sie einen neuen Spiegel. Er war genau so gross wie derjenige, durch den sie hierher gekommen war, doch er war oben abgerundet. Sie blickte in den Spiegel hinein. Ein kleines Mädchen stampfte auf dem Boden und sagte irgendwas. Es wollte wohl etwas haben, denn die Mutter neben ihm schüttelte heftig den Kopf. Wie schon im Raum vorher, konnte sie auf jeder Seite eine Tür in der Mitte des Raumes erkennen. Halt nein..wäre sie geradeaus gelaufen, wäre keine Tür gewesen. Sie fand nur noch links und rechts von sich eine Tür. Erneut sahen sich alle drei Türen zum verwechseln ähnlich. Sie zuckte mit den Schultern und ging zu der Tür auf der linken Seite. Als sie einen Blick auf den Spiegel zurück warf, bemerkte sie, dass dieser sich ebenfalls mit der Spiegelfläche wieder zu ihr wandte. Verwirrt öffnete sie die nächste Tür. Sie ging hindurch und schloss die Tür hinter sich. Doch sie beobachtete wieder das Selbe wie schon in den Beiden anderen Räumen, bloss dass diesmal nur noch eine Tür auf der linken Seite zu sehen war. Dieser Spiegel hier, war aus Eisenstangen gemacht und als sie hinein blickte, sah sie jemand, der die ganze Zeit auf sie deutete. Kopfschüttelnd ging sie weiter nach links, ihre einzige Möglichkeit und fand sich im nächsten Raum bereits wieder vor einem Spiegel. Darin erkannte sie sich selbst. Ihr eigenes Ich winkte ihr zu und lächelte. Es öffnete eine kleine Truhe, die es in den Fingern hatte. Doch Rika konnte nicht erkennen was darin war. Leicht verwirrt blinzelte Rika. Doch schon wieder winkte ihr das Spiegelbild zu. Sie schüttelte den Kopf und blickte auf. Als sie geradeaus weiter ging, sah sie im Spiegel im nächsten Raum sich selbst, wie sie einen Jüngling heiratete. Er war sehr hübsch und zwinkerte ihr zu. Sie selbst im Spiegel deutete immer wieder auf den Jüngling und grinste. Sie beobachtete sich mit dem Jüngling bei der Hochzeit. Doch nach einer Weile verleidete es ihr, immer und immer wieder die selbe Szene zu sehen, stand auf und ging weiter.

Sie ging durch die Tür und diesesmal fand sie sowohl links als auch vor sich eine Tür. Natürlich fehlte auch der Spiegel in der Mitte nicht. Darin sah sie sich selbst wieder, wie sie mit den Schultern zuckte. Rika streckte ihrem Spiegelbild die Zunge heraus und lief geradeaus weiter. Im nächsten Raum sah sie den Jüngling, welcher einmal auf sich und dann auf sie deutete. Sie bestaunte ihn eine Weile, schüttelte dann jedoch den Kopf und ging weiter. Sie konnte nur nach links abbiegen. Das tat sie dann auch. Etwas überrascht sah sie einen hübschen Lehrer im Spiegel, welcher an der Wandtafel eine Mathematik Aufgabe erklärte. Er schrieb etwas hin, strich es wieder durch und wiegte den Zeigefinger hin und her, wie um zu sagen, dass man das so nicht machen solle. Sie grummelte und motzte: „So schön wie du auch aussiehst, ich mag keine Lehrer!“ und ging geradewegs weiter, trotzdem, dass es auch noch links eine Tür gehabt hätte. Im nächsten Raum winkte ihr wieder einmal mehr, zu ihrem Missmut ihr eigenes Spiegelbild aus dem Spiegel zu. Es deutete auf sie und bewegte den Mund auf und zu und machte mit der Hand eine Bewegung, als wollte sie sagen, dass sie sprechen solle. Rika sah schon gar nicht mehr richtig hin und ging in das Zimmer auf der linken Seite, welches die einzige mögliche Richtung war. Nun stand sie wieder vor dem Spiegel, welcher oben halbrund war und das Kind stampfte. Sie ging nach links. Darauf hin war sie wieder im Raum, in welchem sie durch den Spiegel hergekommen war. Sie setzte sich auf den Boden und fluchte vor sich hin: „Dieser Mist, diese Schei...ich oh man, ich hab für so was keine Nerven. Warum musste mich Mutter blos mitschleppen? Die können mich alle mal! Ich will hier raus und zwar sofort!“ Während sie vor sich hinfluchte, betrachtete sie alle Türen auf der Seite. Sie sprang auf, rannte von Tür zu Tür, öffnete jede, ging in die verschiedenen Räume und stiess alle Türen wütend auf. Dann gelangte sie irgendwann wieder bei ihrem ersten Spiegel an. Sie beugte sich nach vorne um zu Atem zu kommen. Nach einer Weile richtete sie sich auf. Sie blickte in den Spiegel vor sich und daraufhin durch die Tür in das andere Zimmer. Doch sie sah dort nicht etwa, das erwartete stampfende Mädchen. Nein, langsam tauchte ein Wort auf der Spiegelfläche auf. „Dich“, las Rika. Sie drehte sich zu der nächsten Tür nach links und blickte dort hinein. „Spiegel“, tauchte dort auf. So drehte sie sich auch noch auf die anderen Seiten und konnte die Worte „mein“ und „öffne“ lesen. Sie rannte zu dem Spiegel hin, in welchem sie das Wort „dich“ gelesen hatte. Dort stand sie zum Spiegel und blickte in die 3 möglichen Richtungen. Doch sie bekam immer nur das Wort „willst“. Sie blickte in den Spiegel, bei dem sie stand. Das stampfende Mädchen wollte doch etwas...daher das Wort „willst“. Das Bild in den Spiegel sollte wohl immer für ein Wort stehen. Innerlich grinste Rika.

Beim nächsten Spiegel blickte sie nicht gleich nach dem Wort, sondern überlegte. Jemand zeigte auf sie, als müsste es doch „ich“ sein. Doch das Wort, welches sie bekam war „Du“. Natürlich, das Mädchen aus dem Spiegel deutete ja nicht auf sich selbst, sondern auf sie. Würde es also etwas sagen, würde es „du“ sagen, kombinierte Rika. So ging sie nun der Reihe nach weiter, wie sie gekommen war und fand die Worte „öffnen“, „einen“, „von“, „uns“, „so“ und „sprich“. Sie überlegte und versuchte alle Worte zusammen zu setzten. „Willst du öffnen einen von uns so sprich.“ Rika überlegte „Was zum Teufel soll ich denn sprechen?“ Sie ging wieder an ihren ersten Spiegel zurück und setzte sich hin. Plötzlich fiel ihr ein, dass genau dieser Spiegel vier verschiedene Worte aufgeworfen hatte, je nach dem in welche Richtung sie sich gedreht hatte. Bei den anderen Spiegeln war immer nur das gleiche gekommen. Noch einmal stellte sie sich an den Spiegel und blickte in alle Richtungen. Sie murmelte leise vor sich hin: „..dich..Spiegel...mein...öffne....nein, das muss wohl anders angereiht werden. Offne dich, mein Spiegel...nein, wohl auch nicht....Spiegel dich mein öffne...Spiegel öffne mein dich...Mein öffne Spiegel dich...öffne dich Spiegel mein.“ Als sie die letzten vier Worte aussprach, blendete sie ein grelles Licht und sie schloss die Augen.

Als sie die Augen wieder öffnete, fand sie sich im Spiegelzimmer wieder. Sie blickte zur Seite und neben ihr stand der alte Mann. „Nun, gefällt dir der Spiegel? Hat er dir gezeigt, was du sehen wolltest?“ Rika blickte den Mann verwirrt an. „Ich...war...im Spiegel!“ – „So, du wolltest also das Innere des Spiegels sehen?“, fragte der Mann verwundert. Rika schüttelte heftig den Kopf, doch am Gesicht des alten Mannes, konnte sie erkennen, dass sie sich ziemlich verrückt anhören musste. Sie winkte ab und wollte nur weg von hier: „Ich habe nur Spass gemacht. Ich werde es mir nochmals überlegen.“ Der Alte nickte und grinste schief: „Bestimmt, du bist jederzeit willkommen hier!“ Somit gingen die Beiden hinaus. Ihre Mutter wartete bereits an der Kasse. Sie hatte wieder einigen Ramsch gekauft, wie Rika feststellte. „Rika liebes, hast du etwas gefunden?“ Rika schüttelte den Kopf, doch der Verkäufer warf ein: „Sie war besonders interessiert an einem bestimmten Spiegel, doch sie möchte es sich nochmals überlegen.“ Ihre Mutter lächelte: „Braves Kind.“ – „Ich bin kein Kind mehr Mutter!“ Rika war eingeschnappt und sprach mit ihrer Mutter auf der Rückfahrt kein einziges Wort.

Zuhause angekommen, setzte sie sich in ihr Zimmer und dachte über das Erlebte nach. War dies jetzt ein Traum gewesen, oder war sie wirklich im Spiegel gewesen? Sie selbst glaubte ja nicht wirklich daran, dass man in einen Spiegel gehen konnte. Der Alte musste irgendwas mit ihr angestellt haben. Sie schüttelte genervt den Kopf, doch so sehr sie sich auch bemühte, der Spiegel ging den ganzen Tag nicht mehr aus ihrem Kopf. Sie stellte sich nur noch eine Frage: „Wo war ich?“

THE END

(© Nicole Abgottspon)